Social Media Measurement ist ein wichtiger Teilbereich der Unternehmenskommunikation. Er ist prädestiniert für die Auswertungen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, denn gerade bei B2C-Unternehmen können große Datenmengen anfallen. Aber die Messung der Reichweite ist nur ein Aspekt des Erfolgskontrolle. Uns interessiert, ob das, was Unternehmen äußern, auch Wirkung entfaltet. Reichweiten-Daten helfen da nur bedingt weiter, wenn, wie jetzt für Twitter erforscht, ein großer Teil der erreichten Accounts Bots sind, die für die Unternehmensbotschaften nicht empfänglich sind. Worin der Wertbeitrag von Social Media Kommunikation liegt und was dafür aufschlussreiche Kennzahlen sind, darüber haben wir mit Julio Proano gesprochen.
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Julio Proano ist Senior Manager für Social Media Channel Strategy beim Gesundheitsunternehmen Novartis, für das er seit 2009 arbeitet. Bevor er zu Novartis kam, arbeitete er als digitaler Vermarkter, Art Director und Webdesigner. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Ingenieurwesen von der New York University und arbeitete in den USA, bis er 2016 nach Europa zog, wo er jetzt in der Schweiz, in Basel, lebt. Proano ist ein echter Data Geek, fasziniert von datengestützten technologischen Innovationen und folglich ein großer Befürworter datengesteuerter Entscheidungsfindung.
Lieblingstools oder: Transparenz und Usability
Im Social Media Management arbeitet Proano am liebsten mit Sprinklr, aber auf Nachfrage wird schnell klar: Excel ist nach wie vor unbestreitbar Favorit, wenn es um die tiefergehende Arbeit an der Datenbasis geht, weil nichts hinter Dashboards oder kryptischen Messwerten versteckt ist und Daten bis ins Detail nachvollzogen und gegeneinander gelegt werden können.
Measurement großer Datenmengen wird dadurch erschwert, dass es keinen allgemein gültigen Standard der Plattformen gibt. Weil jede ihre Nutzer anders anspricht, können in den dort angebotenen Auswertungen selbst Messgrößen wie Reichweite und Engagement unterschiedlich definiert sein. Am besten sei es daher, die angebotenen Informationen herunterzuladen, zu analysieren, wie jede Plattform ihre Messgrößen definiert und dann die Plattformen in Beziehung zu setzen, so Proano. Spätestens, wenn es um das Messen von abstrakteren Größen gehe, sei der Rückgriff auf Excel eine gute Idee.
Social Media in Pharmaunternehmen
Novartis ist seit über 10 Jahren auf Social Media vertreten. Der Grund dafür ist vor allem, dass gut 50% der Weltbevölkerung 2020 mit Social Media erreicht wurden, vor allem im globalen Westen. In Proanos Bereich dreht sich die Social Media Strategie vor allem um den Aufbau und Erhalt von Reputation, abhängig von den strategischen Zielvorgaben der Geschäftsleitung.
Pharmaunternehmen sind gesetzlich verpflichtet, „unerwünschte Ereignisse“ zu überwachen und so zu dokumentieren, ob es Probleme mit den Produkten des Unternehmens gibt (Pharmakovigilanz). Social Media Monitoring ist mit Echtzeit-Feedback, Marktforschung und Brand Promotion ein guter Ausgangspunkt dafür. Die mit den durch Listening auf Social Media erreichbare kontinuierliche Verbesserung von Produkten und damit auch der Patientensicherheit sei als Outcome fast unbezahlbar, sagt Proano.
Hauptziel seiner Organisation sei der Aufbau von Vertrauen mittels Reputationsmanagement. Proanos Hauptinstrument dabei ist es, Communities aufzubauen und zusammenzubringen. Dort versucht er, Bewusstsein für Krankheiten und die dazu verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Innovationen zu steigern, vor allem über Interaktionen mit den Nutzern. Die Verantwortung einzelner Unternehmen für die Globale Gesundheit ist ein weiteres wichtiges Thema.
Die Erfolgsmessung sei dabei eine Herausforderung, sagt Proano. Traditionelle PR-Messgrößen wie Medienpräsenz, Durchdringung, Reichweite, Share of Voice sind nur in Aufschlüsselung für die jeweiligen Hauptzielgruppen interessant. Diese muss man dafür zunächst genau verstanden haben. Eine Hauptzielgruppe Proanos sind Patienten, die ihre Erfahrungen in Social Media teilen und damit dem Unternehmen zu Verfügung stellen. Im besten Fall wird ihnen durch die Interaktion in Social Media im Gegenzug ermöglicht, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen. Eine andere Gruppe, die Gesundheitsversorger, werden zur Interaktion mit den Patienten befähigt, außerdem werden ihnen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt.
Qualitative Auswertungen wie Sentiment-Analysen sind wertvoll für die Steuerung der Community: selbst negative Stimmen zu den Produkten helfen letztendlich, die Produkte und ihre Sicherheit zu verbessern.
Das strategische Firmenziel, das über dem allem steht, ist Reputation, und diese sollte in allen Aspekten – Management and Leadership, CEO Positioning etc. – auf KPIs herunter gebrochen werden und die Messergebnisse allen Verantwortlichen zu Verfügung gestellt werden, so Proano.
Planung und Auswertung auf Kurs halten
Als Chef-Stratege ist Proano vor allem dafür verantwortlich, Kampagnen entwürfe darauf abzuklopfen, ob sie zu den Unternehmenswerden passen und die passenden KPIs zu bestimmen, um den Impakt der Maßnahme zu messen. Außerdem achtet er auf Compliance und den richtigen Ton und hilft den Kommunikatoren, ihre Kampagnenplanung danach auszurichten.
Reichweite um jeden Preis?
Nach der traditionellen Sichtweise sind Follower eine der wichtigsten Kennzahlen für Social Media, vor allem in Verbindung mit der Engagement-Rate in der eigenen Community. Ist es sinnvoll, dort Budget einzusetzen, um z.B. mit gesponsorten Posts bestimmte Zielgruppen besser anzusprechen? Kann man seine Awareness- oder Engagementziele auch mit gutem Content und organisch erreichen? Proano sagt, die großen Social Media-Budgets würden sicher nicht von Kommunikationsabteilungen, sondern von Marketing ausgegeben. Gerade für Healthcare-Unternehmen könne es sich aber lohnen, auch in Kommunikationsbudgets auf Social Media zu investieren, um das Corporate Listening, das Aufgreifen von Meinungen, Erfahrungen und Stimmungen aus der Community zu verbessern und damit letztendlich auch die Produkte.
Neue Plattform, neues Glück
Eine neue Plattform in die Kommunikation einzubinden ist nur sinnvoll, wenn sie nachhaltig und auf die Ziele des Unternehmens zugeschnitten aufgebaut wird. Das erfordert Ressourcen und Zeit. Proano sagt, es sei das eine, ob man sich vorstellen kann, dass eine neue Plattform dem „Business Need“ gerecht wird. Wichtig sei aber auch, sich zu überlegen, mit welcher Botschaft man dort seine Zielgruppen ansprechen möchte. Dafür sei in der Vorbereitung Tests mit den Zielgruppen und Listening nötig. Der Fokus müsse aus hier mehr auf das Engagement und die ständige Optimierung der Inhalte hin auf die eigentlichen Ziele gesetzt werden.
Proano hält den Marketing-Funnel mit seinen Phasen für ein gutes Instrument für die Einführung neuer Plattformen. Unternehmen würden nicht genug Zeit mit Phase eins verbringen, der Kontaktaufnahme, dem Zuhören, Verstehen und Anfüttern dieser Zielgruppen. Oft würde das ganz weggelassen. Inhalte werden einfach unspezifisch allen zu Verfügung gestellt, in der Hoffnung, die richtigen Personen seien schon dabei.
Weniger ist mehr
Proano erzählt, wie unter dem neuen Management bei Novartis begonnen wurde, Content gezielter, in höherer Qualität und weniger Quantität zu produzieren. Anfangs reagierten alle nervös, weil weniger auf den Kanälen publiziert wurde und das Unternehmen zeitweise sehr ruhig auftrat. Aber das Publikum wuchs weiter – und zwar die spezifischen Zielgruppen, nicht nur die allgemeinen Followerzahlen. Die Engagement-Rate blieb auf demselben Niveau und übertraf die von vergleichbaren Firmen, die teilweise doppelt so häufig posteten.
Videocontent für alle?
Alle Plattformen inkorporieren nach und nach Videocontent, an Videos werde keiner vorbeikommen, sagt Proano. Und natürlich müsse man seine Plattformen nach seinen spezifischen Zielgruppen und Kommunikationszielen auswählen. Er erinnert sich, wie er selbst Stunden mit TikTok verbrachte, als es aufkam: eine Plattform, die sich rein auf das Story-Format konzentrierte. Er bemerkte an sich selbst, welches Suchtpotenzial dieses Format birgt. LinkedIn und Twitter haben ihre Story-Formate allerdings wieder eingestellt – in Proanos Augen vor allem, weil die Nutzer dieser Plattformen dieses Format nicht ausreichend nachfragten. Zwar sei auch dort Video ein wichtiges Format, aber nicht in dem Zusammenspiel von Aktion und Interaktion. Er selbst stecke momentan nicht viel Aufwand in Stories, auch wenn sie auf Instagram und Facebook ihre Berechtigung haben. Die Formate entwickeln sich jedoch ständig weiter, und welches er anwendet, hängt eben sehr von den momentanen Gegebenheiten ab.
Ownership lohnt sich
Als Proano zu Novartis wechselte, holte die Firma die Betreuung der Social Media-Kanäle von externen Agenturen in die eigenen Kommunikationsteams zurück. Zuerst musste eigenes Personal und Strukturen aufgebaut werden in einem größeren Change-Prozess. Nach der Transition folgte eine Optimierungsphase, in der Kanäle und Plattformen analysiert wurden. Zeitaufwändige Kanäle wurde zurückgefahren, wirtschaftlichere Kanäle mit gutem Engagement wurden priorisiert. Damals fragte sich das Team noch, ob Instagram wirklich nötig sei, so Proano. Heute sei Novartis einer der erfolgreichsten Pharma-Konzerne auf Instagram mit ca. hunderttausend Followern.
Top 5 Take Aways für Social Media Strategen
Auch für Social Media Manager kleinerer Unternehmen können die Social Media-Grundsätze, die Julio Proano uns im Laufe des Gesprächs verraten hat, eine gute Hilfestellung sein:
1. Sich seiner Ziele und Zielgruppen bewusst sein
2. Die Social Media-Kanäle priorisieren
3. Kreativ werden, um Ziele besser messen zu können
4. Bei den Inhalten Qualität vor Quantität
5. Die Inhalte unbedingt personalisieren, d.h. Menschen in den Vordergrund stellen
Julio Proano auf LinkedIn
Über Julio Proano
Julio Proano ist eine technologische Führungskraft, die Marketing-Know-how mit Daten und Führungsqualitäten verbindet, um Kommunikationserfolge zu erzielen. Als Leiter der Social-Media-Kanalstrategie für die globalen Unternehmenskunden von Novartis verfügt Julio Proano über umfassendes digitales Know-how und mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Pharma-, Technologie- und Internetbranche. Er hat strategische Roadmaps für neu entstehende Kommunikationskanäle entwickelt, die Einhaltung von Vorschriften in den sozialen Medien sichergestellt und in komplexen Organisationen Erfolgsmaßstäbe gesetzt. Er hat für Novartis-Unternehmen in Basel, Schweiz, und Cambridge, MA, gearbeitet und war auch als digitaler Vermarkter und Art Director für Airwide Solutions tätig, einem Unternehmen für mobile Nachrichtenübermittlung und drahtlose Internetinfrastruktur. Außerdem war er als Abteilungsleiter für den Aufbau des Webdesign-Programms am Gibbs College of Boston verantwortlich. Julio hat einen BS in Computertechnik von der NYU. Er stammt aus Ecuador.